Martin Michael Lorenz, Country Manager bei Agricultural Solutions Switzerland & Austria, spricht im Interview über die Bedeutung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft. Was es bedeuten würde, ganz darauf zu verzichten, lesen Sie hier.

Martin Michael Lorenz
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Country Manager bei Agricultural Solutions Switzerland & Austria
Was muss ich mir unter dem Begriff Pflanzenschutzmittel vorstellen?
Den Begriff Pflanzenschutz kann man weit greifen. Das Gießen einer Pflanze ist schon Schutz vor dem Vertrocknen. Landläufig werden damit aber mechanische oder chemisch-synthetische Maßnahmen zum Schutz der Pflanze gemeint, beispielsweise ein Insektizid gegen den Erdäpfelkäfer, ein Fungizid gegen Pilze und deren Gifte oder ein Herbizid gegen die allergene Ambrosia. Hauptziel ist es, die Pflanze gesund zu halten und Lebensmittelverschwendung am Feld zu verringern.
Was würde ein Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel für die Landwirtschaft bedeuten?
Sowohl für die Bio-Landwirtschaft als auch für die integrierte Landwirtschaft wäre das dramatisch. Es würde zu hohen Ernteausfällen kommen, und wir müssten vermehrt ausländische Produzenten finden und Nahrungsmittel importieren. Das wiederum würde höhere Kosten und längere Transportwege bedeuten. Dabei sind die Produktionsstandards in Ländern außerhalb Österreichs oder der EU oft schlechter und vor allem weniger kontrollierbar. Ein Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide würde also das Ende großer Teile der momentan praktizierten Bio- und der integrierten Landwirtschaft bedeuten.
Woher kommt dann das schlechte Image von Pflanzenschutzmitteln?
Ich vermute zwei Gründe dahinter, einen generellen und einen länderspezifischen: Ich glaube, dass in den Anfangsjahren der chemisch-synthetischen Pestizide zu eingleisig gefahren wurde. Manche haben sich zu sehr auf die Chemie verlassen und die Regeln der guten landwirtschaftlichen Praxis nicht immer beachtet. Heute haben wir mit der integrierten Landwirtschaft dazugelernt, bessere Standards entwickelt und das Thema sehr gut im Griff. Leider werden, und das ist der zweite Grund, diese Fortschritte der Hersteller und Landwirt:innen nicht wahrgenommen. Der unglaubliche Erfolg unserer Chemiker:innen, Physiker:innen, Ingenieur:innen und Landwirt:innen ist ihnen zum Verhängnis geworden – ähnlich zu Impfungen, deren Wirksamkeit heute von vielen in Frage gestellt wird. Trotz unseres Anspruchs, eine Wissensgesellschaft zu sein, besteht in Österreich im Vergleich zu unseren EU-Partnern eine erschreckend hohe Wissenschaftsfeindlichkeit. Gleichzeitig ist der Anteil an alternativen Wirklichkeiten groß.
Ist das schlechte Image von Pflanzenschutz also nicht gerechtfertigt?
Ich persönlich glaube, dass es nicht gerechtfertigt ist. Wir müssen uns entscheiden, welchen Lebensstandard und welche Philosophie wir leben wollen, inklusive der Konsequenzen. Für mich zählen qualitativ hochwertige Nahrungsmittel, die sich alle Bevölkerungsschichten leisten können. Um fruchtbare Böden und gute Ernten für viele Jahre zu gewährleisten, brauchen wir Fortschritt. Das ständig propagierte alternative Bild eines natur-romantischen Ideals mit sprechenden Schweinderln und blonden Sennerinnen auf der Alm ist doch Unsinn. Man kann der Bevölkerung zutrauen, zu verstehen, dass die Milch im Supermarkt nicht vom Alm-Öhi kommt. Die österreichische Landwirtschaft ist voller kluger Köpfe und spannender Technik und produziert am Ende gesunde Nahrungsmittel.
Welche Konsequenzen würden auf Konsument:innen zukommen, sollte man auf Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft verzichten?
Aus meiner Sicht sind folgende Punkte relevant: Qualitätsminderungen und Teuerungen bei Lebensmitteln aufgrund eines geringeren Selbstversorgungsgrades. Es käme darüber hinaus zu geringerer Wertschöpfung und zum Verlust von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen und der ständigen Panikmache eine Absage erteilen werden.